Rheinau
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Damals in der Rheinau

    

   

  

Von Daniela Wachter-Rothenberger

      

Rheinau oder "Erla" nennt man den Landstreifen zwischen dem Werdenberger-Binnenkanal und dem Rhein. Heute befinden sich dort Waldstücke, Äcker, Wiesen und die Autobahn. Vor 50 Jahren noch war die Rheinau ein verwilderter Landstreifen mit vorwiegend Erlenbäumen, darum auch der Name "Erla". Es gab aber, auch grosse Felben, Brom- und Spitzbeeren, Sanddornbäume, Nielen (Clematis) und noch vieles mehr. Am Boden wuchs auch spärlich Gras und verschiedene Kräuter. Die Ziegen vom Ploneli Res fanden in der "Rheinau" genügend Futter und die jüngeren Söhne Paul (*1939) und Karl (*1941) hüteten die Tiere. So verbrachten die beiden Knaben den grössten Teil ihrer Freizeit in der "Erla". Sie haben mir aus dieser Zeit erzählt:

Erla

"In der "Erla" war immer etwas los, denn die meisten Buben von der Burgerau verbrachten ihre Freizeit dort. Die Mädchen blieben zu Hause, halfen viel und machten irgend etwas. So genau wussten wir das gar nicht, wir waren ja eben in der "Erla". Auch die Räfiser Buben traf man für gewöhnlich nicht in der Rheinau. Sie hatten ihr Revier beim Steinbruch an der Halde. Die Natur lieferte uns genügend Spielreize und an Ideen mangelte es nie. Wenn uns die Ziegen das Leben nicht gerade schwer machten, genossen wir die Zeit."

Hüttenbau

"Oft bauten wir uns kleine Hütten. Wir flochten Nielen um stehende junge Erlen und schnell hatte man so sein kleines Haus. Einmal bauten die älteren Buben eine richtig grosse Hütte mit Küche und Aufenthaltsraum. Sie stellten in das etwa 12 m2 grosse Haus einen Tisch und eine Eckbank. An diesem wurde manches Essen eingenommen und viele Pläne geschmiedet. Die älteren Buben feierten Feste in der Hütte und diskutierten stundenlang. Leider durften wir jüngeren nicht teilhaben. Nach ein paar Jahren erbten wir die Hütte. Doch schon bald begann sie zu zerfallen und wir flickten sie nicht mehr."

Bandenkrieg

"Manchmal war auch das Militär in der Rheinau stationiert. Das war jeweils sehr spannend, faszinierte und imponierte uns. Wenn es mit seinen Kanonen wieder abzog, hinterliess es Schützengräben und Gruben. Wir nutzten diese als Versteck für den Kampf gegen die Räfiser-Jugend. Unsere Pfeilspitzen haben wir mit Nägeln versehen. Mit diesen Waffen versteckten wir uns in den Gruben und deckten diese mit Ästen und Laub zu. Wir warteten. Der Feind kam, ebenfalls raffiniert bewaffnet. Die Räfiser hatten lange Lanzen, an deren Spitzen Brennesseln montiert waren. Angst kannten wir keine, hatten wir doch eine erstklassige Tarnung. Als wir aus unseren Verstecken sprangen war der Überraschungseffekt so gross, dass wir die Schlacht schon fast gewonnen hatten. Nicht lange dauerte der Kampf und die Räfiser flohen. Wir hatten unser Revier erfolgreich verteidigt !"

Brandern

"Das Spiel mit dem Feuer hat uns sehr fasziniert. Wenn man dürre Grasböschen anzündete, loderte das Feuer schnell auf, verfiel dann wieder und zurück blieb ein schwarzer Fleck. Wir hatten das schon x-Mal gemacht und fühlten uns als "Herren des Feuers". So wollten wir an einem Frühlingsmorgen wieder diesen Spass erleben. Wir zündeten einen dürren Fleck an. Doch dann verteilte sich das Feuer explosionsartig. Wir erkannten schnell die Gefahr und Angst trieb uns zum Handeln. Mit unsern Kitteln schlugen wir auf die Flammen ein. Doch alles war zwecklos. Die Knospen der Erlen platzten wegen der Hitze. Uns blieb nur die Flucht. Wir hofften inständig, dass uns niemand gesehen hat. Zum Glück erlosch das Feuer selber, bevor es auf Sträucher oder Bäume überging."

Mannschaftsspiele

"In der "Erla" konnten wir herrlich verstecken spielen. Auch Räuber und Poli war beliebt. Im südlichen Teil unseres Reviers hatte es sogar eine mehr oder weniger ebene Wiese auf der wir Fussball spielten. Unser Lieblingsspiel war aber das "Gümperle". Zwei Mannschaften sammelten Punkte. Die eine mit Fangen, die andere mit Schlagen. Ein kleines Steckli wurde über eine Vertiefung im Boden gelegt. Ziel der Schlägermannschaft war es, dieses Stecklein mit einem grösseren Stock fortzuschlagen. Die Fängermannschaft konnte durch Fangen des Steckleins Punkte sammeln. Das war aber nicht ungefährlich, denn je nach Schlag flog das Stück Holz blitzschnell durch die Luft. Es gab ab und zu eine Schramme. Die Schläger konnten je nach Schwierigkeitsgrad des Schlages Punkte sammeln. Der einfachste Schlag war, das Stecklein einfach wegzuspicken. Schwieriger war, das Steckli zuerst senkrecht in die Höhe zu spicken, und wenn es wieder herunterkam, mit einem kräftigen Schlag wegzuschleudern. Oder zweimal in die Höhe werfen vor dem Schlag, oder sich noch einmal drehen... Wir spielten stundenlang !"

Speis und Trank

"Zu Trinken gab es literweise feinstes Kanalwasser. Kühl löschte es uns den Durst. Ganz fein war auch der Klammernschleckstengel". Wir hielten einen Halm in einen Klammernhaufen (Waldameisen). Diese fühlten sich dadurch bedroht und bespritzen ihn mit ihrem feinen, säuerlichen Sekret. Wenn wir den Halm dann herauszogen, konnten wir ihn abschlecken und hatten eine Gratis-Leckerei! Natürlich genossen wir auch die vielen Beeren. Einmal liessen wir uns auf ein ganz spezielles kulinarisches Abenteuer ein. Die Krüsi-Buben schwärmten von Froschschenkeln. Von einem Gefühlsmix aus Mut-beweisen, Ekel-überwinden und Gwunder machten wir bei diesem Unternehmen mit. Frösche gab es in den Schleusen zum Rhein zu Hauf. Wir fingen einige und grillierten ihre Schenkel. Wie und ob es geschmeckt hat wissen wir nicht mehr. Aber ganz sicher würden wir uns nie mehr darauf einlassen."

Holz für alle

"In der "Erla" durfte jeder holzen, das heisst Dürrholzen. Einmal im Jahr sammelten die Burschen dürre Erlen für die Flaggala. Es gab auch kleine Gauner, die ritzten im Herbst Erlen an, damit sie kaputt und dürr wurden und somit geholzt werden durften. Die "Erla", so unwegsam sie auch war, bedeutete für viele eine wertvolle Holzquelle."

Nielen

"Die vielfältige Pflanze wurde nicht nur zum Bauen oder als Ziegenfutter genutzt, sondern auch zum Rauchen. Am besten waren die etwa fingerdicken Stücke. Wir haben viel geraucht, doch nicht weil es so fein war, vielmehr um erwachsener zu wirken, um dazuzugehören. Weil wir Angst hatten zu Hause dafür bestraft zu werden, spülten wir unsern Mund immer mit reichlich Kanalwasser. Ob das etwas genützt hat wissen wir nicht, auch nicht, ob wir wirklich für diese Tat bestraft worden wären. Wir glauben im Nachhinein, jeder wusste vom Rauchen, es gehörte einfach dazu und wurde geduldet.

Ein unvergessliches Erlebnis

Paul: "Es war Ostern. Wie jedes Jahr bekamen wir ein neues Kleid, Hose und Kittel, natürlich massgeschneidert. Sofort wurde das neue "Häs" angezogen. Weil man ja nicht den ganzen Tag bei der Familie sitzen wollte, beschlossen wir, in die "Erla" zu gehen. Karl, unser Cousin Werner und ich setzten uns alle auf einen Ast in einem Baum und genossen unsere Zückerli, welche wir zum Fest bekamen. Mir war so wohl, dass ich zu schaukeln begann. Unglücklicherweise wurde ich zu übermütig und stürzte vom Baum. Mir passierte nichts, aber meine Hosen waren zerrissen. Viel lieber hätte ich eine Schramme gehabt anstatt die neuen Hosen kaputt. Ich getraute mich fast nicht nach Hause. Meine Strafe blieb trotz Feiertag nicht aus. Diese Ostern vergesse ich nie!"

Karl:" Wie so viele Male spielten wir mit dem Ball. Plötzlich rollte er das Kanalbort hinunter. Ich sprang ihm nach um ihn zu holen. Fast beim Wasser traf ich auf eine Schlange. Ich hatte panische Angst vor diesen Tieren und rettete mich mit einem Satz ins kalte Wasser. Doch als ich schon aufatmete, sah ich die Schlange an mir vorbeischwimmen. Ein unbeschreibliches Gefühl, das ich heute noch spüre wenn ich daran denke. Schlangen habe ich immer noch nicht gerne."

All das und noch viel mehr passierte früher in der Rheinau.

Die "Erla" bieten aber auch heute noch Gelegenheit zum Verweilen, Entdecken und Erleben. Viel Vergnügen!

  

  

  

Copyright © Oktober 2004 Roger Bächer  Alle Rechte vorbehalten.  Stand: 01.12.2004

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